Agrarpolitische Zahlenmagie

Rund neunmal so viele Masthühnchen und insgesamt fünfmal so viele Tiere werden geschlachtet wie statistisch ausgewiesen. Wie geht das?

Im Jahr 2023 gab es in der Schweiz 16,5 Millionen Nutztiere, schreibt das Bundesamt für Landwirtschaft im Agrarbericht 2024; darunter 3,8 Millionen Lege- oder Zuchthühner und 9,3 Millionen Masthühnchen. Laut Jahresbericht von Proviande, der Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft, wurden 2023 in der Schweiz 83’131’213 Tiere geschlachtet, davon 79’360’836 Geflügel. Rund neunmal so viele Masthühnchen und insgesamt fünfmal so viele Tiere werden geschlachtet wie statistisch ausgewiesen. Wie geht das?

Dabei ist die Schlachtstatistik unvollständig. Es fehlen rund 7 Millionen getötete Tiere, ca. 3,4 Millionen Althennen plus ca. 3,4 Millionen nach dem Schlüpfen getötete «Bruderküken».

Des Rätsels Lösung: Die Agrarstatistik erhebt den Tierbestand an einem Stichtag, jeweils am 1. Januar. Erfasst wird die Anzahl Tiere, die von den Betrieben angegeben werden. Doch während eines Jahres leben viel mehr Tiere in der Landwirtschaft als am Stichtag. In der industriellen Mast wird ein Platz mehrmals pro Jahr besetzt. Dies fällt besonders bei Geflügel ins Gewicht, wo ein Mastküken 21 Tage («Mistkratzerli») bis 40 Tage alt wird. 2023 wurden in der Schweiz 81’739’326 Mastküken «produziert». Gemäss eigener Berechnung gab es im Jahr 2023 in der Schweizer Tierproduktion mehr als 95 Millionen Tiere und damit rund sechsmal so viele wie statistisch ausgewiesen.

Damit nicht genug: Es gibt eine zweite Statistik, die Tiere unsichtbar macht. Sie reduziert Mastküken, die grösste Tiergruppe, auf 3 Prozent des Schweizer Tierbestandes und vermehrt Rindvieh auf 73 Prozent. Dahinter steckt eine agrarpolitische «Währung mit fixen Wechselkursen»: die Grossvieheinheit GVE. Sie ermöglicht, unterschiedliche Tierarten und Nutzungen miteinander zu verrechnen. Die GVE orientiert sich an der Kuh (= 1 GVE), bei Geflügel entsprechen 100 Legehennen oder 250 Mastküken einer GVE.

Die Zahlenmagie folgt einer Produktionslogik. Nutztiere sind Produktionsfaktoren, die Milch, Fleisch, Eier und auch Dünger und Treibhausgase produzieren. Eine Kuh produziert mehr als ein Masthühnchen und frisst auch mehr. In der Agrarstatistik sind Tiere Ressourcen, keine Lebewesen. Besonders unpassend ist dies beim Tierwohl. Aus dem Agrarbericht 2024 lässt sich herauslesen, dass rund 80 Prozent aller Nutztiere (auf direktzahlungsberechtigten Betrieben) im Direktzahlungsprogramm RAUS «Regelmässiger AUSlauf ins Freie» oder im Weideprogramm (nur für Rindvieh) angemeldet waren. Die Zahl bezieht sich auf den Tierbestand in GVE. Würden die Tiere als Individuen wahrgenommen, so hätten weniger als 10 Prozent eine Auslaufchance.

Die Agrarstatistik macht nicht nur Tiere unsichtbar, sie verschleiert, dass die Schweizer Tierproduktion immer weniger standortangepasst ist. Seit 2020 wird mehr Geflügel- als Rindfleisch produziert und immer mehr Milch stammt von Hochleistungskühen, die zusammen Hunderttausende von Tonnen Kraftfutter wie Weizen und Soja brauchen, und deren männliche Kälber unerwünscht sind. Die Tierproduktion hat wenig mit dem angeblichen Grasland Schweiz zu tun und noch weniger mit Bilderbuch-Bauernhofromantik mit glücklichen Hühnern, Säuli und Kühen auf grünen Weiden.

2 Kommentare

guest
Karin erket
Karin erket
vor 8 Tage

Es macht mich todtraurig und ich bin entsetzt, was Tiere durch die Menschen leiden und nicht artgerecht leben können … auf Rücksicht auf die armen Tiere kann man doch mal auf Fleisch verzichten. Früher hat man auch nicht jeden Tag Fleisch verzehrt. Die Käfighaltung, die nutztierhaltung und vorallem die grausamen lebendtiertransporte müssen endlich aufhören. Von der Hölle in die Hölle … mein größter Wunsch wäre mehr tierwohl ….

Antonietta
Antonietta
vor 4 Tage

VEGAN LEBEN. FÜR DIE TIERE, FÜR DIE UMWELT…
Jedes Jahr werden allein in Deutschland rund 800 Millionen Landlebewesen für den menschlichen Verzehr getötet. Die Aufzucht von Tieren in Tierfabriken ist nicht nur ethisch unverantwortlich, sondern auch eine ökologische Katastrophe. Das Essen von Tieren ist schlecht für unsere Gesundheit und wird mit vielen Krankheiten, wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs, Diabetes und Fettleibigkeit, in Verbindung gebracht.
Führende Gesundheitsexperten sind sich einig, dass eine ausgewogene pflanzliche Ernährung sowohl für Erwachsene als auch für Kinder wesentlich gesünder ist als der Konsum von tierischen Produkten.
Weltweit hat fast eine Milliarde Menschen nicht genug zu essen, und jeder achte Mensch muss abends hungrig einschlafen. Zugleich wird Raubbau an Land, Wasser und anderen Ressourcen betrieben, um Futtermittel für sogenannte Nutztiere zu erzeugen. Vor dem Hintergrund, dass zur Produktion von nur 1 Kilo Fleisch insgesamt 16 Kilo Getreide erforderlich sind, stellt die Tierwirtschaft zweifelsfrei die unwirtschaftlichste Methode zur Ernährung der Bevölkerung dar.

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