Wer Tiere liebt, vermindert ihr Leid
Sind Vegetarierinnen und Veganer die natürlichen Feinde landwirtschaftlich gehaltener Tiere? Nein. Sie nehmen das Leid der Tiere ernst und ziehen entsprechende Konsequenzen. Eine Replik.
In einem kürzlich veröffentlichten Essay propagiert Autorin Christina Berndt kontroverse tierethische Standpunkte. Die Kernaussage ihres Textes ist dabei, dass die reine Existenz eines Individuums besser sei als gar nicht erst geboren zu werden. Gemäss Berndt schenken wir den Tieren das Leben – das grösste Geschenk überhaupt.
Fakt ist: Wer Tiere liebt, sollte sie nicht essen – und sich kompromisslos für ein System einsetzen, das die Tierwürde respektiert und Leid minimiert. Trotz des häufig beschworenen «besten Tierschutzgesetzes der Welt» ist dieses Denken auch in der Schweiz noch nicht die Norm.
80 Millionen Tiere werden hierzulande jährlich geschlachtet. Knapp 95% davon sind Masthühner – Tiere, deren Leben nach 5 Wochen im Schlachthof endet, sofern ihre überzüchteten Körper nicht bereits vorher im Stall verenden. Qualzuchten gehören dabei zur Norm.
Das Züchten von Tieren sorgt auch bei anderen Tierarten zu erheblichem Leid. Mastschweine haben heute beispielsweise zusätzliche Rippen, wodurch ihre Rücken deutlich länger sind als in der Vergangenheit. Solche Tiere haben, selbst wenn sie aus der Massentierhaltung gerettet werden, eine von Leid geprägte, kurze Existenz vor sich.
Berndt schreibt, dass nur die wenigsten Tiere, darunter Menschenaffen, Bewusstseinszustände erreichen können, die ihnen Würde und Rechte verleihen. Doch was wirklich zählen sollte, ist die Fähigkeit eines Individuums, Leid zu empfinden. Bereits der Philosoph Jeremy Bentham schrieb: «Die Frage ist nicht: ‘Können sie denken?’ oder ‘Können sie sprechen?’, sondern: ‘Können sie leiden?’»
Der Fokus auf die Empfindungsfähigkeit und die Verminderung von Leid muss der Kern des Tierschutzes sein. Wir müssen das Ziel verfolgen, denjenigen Individuen zu helfen, denen es am schlechtesten geht – und dazu gehören in der Schweiz die Tiere in der Landwirtschaft.
Wenn Berndt argumentiert, dass Leben auch Leiden bedeute und dass «das Leben, auch wenn es einem zwischendurch mal sehr schlecht geht», ein Geschenk sei, lässt sie aussen vor, dass wir das Leiden der Tiere in der Landwirtschaft moralisch kaum rechtfertigen können. Sie ignoriert die Alternativen zu Tierprodukten und die Tatsache, dass wir als moralisch befähigte Menschen in der Lage sind, dieses Leid ohne gewichtige Konsequenzen für unser Dasein zu verhindern.
Angesichts dieser Faktenlage ist ein Text befremdlich, der vorbringt, dass eine Welt voller Vegetarierinnen und Veganer eine traurige wäre, in welcher es kaum noch Nutztiere gäbe, die man «bewundern und streicheln und denen man in die Kulleraugen sehen kann».
Ja, eine Welt ohne Massentierhaltung, in der wir die Tierwürde respektieren, wird unweigerlich eine mit weniger Tieren sein. Diese Entwicklung ist nicht traurig, sie ist human. Sie zeugt davon, dass wir unsere Verantwortung wahrnehmen und das tun, was man von uns erwarten darf: unnötiges Leid vermindern.
Bildquelle: Klaus Petrus, Tier im Fokus