Tierwürde

Die Schweizer Bundesverfassung anerkennt die jedem Lebewesen inhärente Würde. Auch Tieren kommt ein spezifischer Eigenwert zu. Mit dem Verfassungsprinzip der Würde der Kreatur wird das Konzept der Menschenwürde auf nicht-menschliche Lebewesen übertragen. Wenn ein Tier beeinträchtigt wird, ohne dass es vorgängig zu einer Interessenabwägung gekommen ist, gilt die Tierwürde als missachtet. Das Schweizer Tierschutzgesetz wird diesem Prinzip nicht gerecht. Zwar mag ein Schwein in der Schweiz 0.9 statt – wie in der EU – 0.75 Quadratmeter Platz zum Leben haben, doch das Grundprinzip bleibt dasselbe: Das Wohl der Tiere und das Gewissen der Bevölkerung werden soweit zufrieden gestellt, wie es aus ökonomischer Sicht sinnvoll ist.

Wir sind überzeugt, dass eine sinngemässe Auslegung der Tierwürde bedingt, dass die Interessen aller empfindungsfähigen Tiere gleichermassen zu berücksichtigen sind. Diese Überzeugung hat eine lange Tradition. Bereits 1789 wies der britische Philosoph Jeremy Bentham darauf hin, dass die Empfindungsfähigkeit das entscheidende Kriterium für die moralische Berücksichtigung eines Lebewesens sei. Laut Bentham sind Kriterien wie die Intelligenz oder die Fähigkeit zu sprechen irrelevant für den moralischen Status eines Wesens. Nicht alle Menschen können rechnen oder über Moral nachdenken; doch sie alle können Glück und Leid empfinden. Deshalb sind wir auch der Überzeugung, dass sie unabhängig ihrer Fähigkeiten gleichwertig zu behandeln sind.

Unsere Lösungen

Dieses Prinzip der gleichen Berücksichtigung von Interessen gilt es auch auf nicht-menschliche Tiere zu übertragen. Es ist ethisch problematisch, die Interessen eines Wesens allein aufgrund seiner Artzugehörigkeit zu ignorieren. Das bedeutet nicht, dass alle Tiere gleich zu behandeln sind: nicht existierende Interessen müssen auch nicht berücksichtigt werden. Ein Schimpanse hat zum Beispiel kein Interesse daran, an einer Abstimmung teilzunehmen. Entsprechend gibt es auch keinen Grund, für seine politischen Rechte einzustehen. Dort, wo die Interessen vergleichbar sind, sind sie aber gleichermassen zu berücksichtigen. Im Minimum bedeutet das, dass alle empfindungsfähigen Tiere in ihrer körperlichen und geistigen Unversehrtheit zu schützen sind.

Für Sentience ist klar, dass die verfassungsrechtlich garantierte Tierwürde heute nur ungenügend berücksichtigt wird. Deshalb haben wir in Basel die Primaten-Initiative lanciert, die weltweit zum ersten Mal das Grundrecht auf Leben und Unversehrtheit nicht-menschlicher Primaten in einer Verfassung verankern. Rund ein Viertel der Basler Bevölkerung stimmte am 13. Februar 2022 für die Initiative. Für ein Ja reichte es zwar nicht, doch mit dem Bundesgerichtsentscheid, über Grundrechte für nicht-menschliche Tiere abstimmen zu dürfen sowie durch den medialen Diskurs rund um die Initiative wurde die kategorische menschliche Überlegenheit bei jeglichen Interessenabwägungen in der Schweiz und auch weit über die Landesgrenzen hinaus in Frage gestellt.

Ähnlich wie die Primaten-Initiative forderte auch die von Sentience lancierte nationale Initiative gegen Massentierhaltung, die im September 2022 zur Abstimmung kam, einen besseren Schutz der Tierwürde. Konkret sollte der Anspruch von Tieren, nicht in Massentierhaltung zu leben, in der Verfassung verankert werden. Die Initiative konnte trotz Ablehnung an der Urne viel erreichen. Sie führte vor allem in den Monaten und Wochen vor der Abstimmung dazu, dass Missstände in der Schweizer Landwirtschaft ausserordentlich grosse Aufmerksamkeit erhielten.

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Philipp Ryf
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