Politische Polarisierung überwinden – zum Wohl der Tiere
Die Mehrheit der Bevölkerung möchte, dass Tiere gut gehalten werden. Davon bin ich überzeugt, auch nach der Abstimmung über die Initiative gegen Massentierhaltung, zu der am 25. September 2022 (nur) 37 Prozent der Stimmbevölkerung JA gesagt haben. Die Befragung nach der Abstimmung offenbarte allerdings grosse Unterschiede zwischen den ideologischen Flügeln, die ich in diesem Ausmass nicht erwartet hatte.
In der Links-Rechts-Selbsteinstufung nahm die Zustimmung von 86 Prozent (linksaussen), über 67 Prozent (links), 25 Prozent (Mitte), 13 Prozent (rechts) auf 6 Prozent (rechtsaussen) ab. Passend dazu sind die Unterschiede nach Parteisympathien: 85 Prozent der Befragten mit Sympathien für die Grünen befürworteten die Volksinitiative, dann nimmt die Zustimmung ab von 71 Prozent (SP), über 50 Prozent (GLP), 19 Prozent (Die Mitte) bis zu 10 Prozent (SVP) und 8 Prozent (FDP). Mein Eindruck ist, dass in der Politik zu oft keine sachliche Auseinandersetzung stattfindet, sondern Zustimmung oder Ablehnung von der Absenderin eines Anliegens abhängen. Eine Vorlage von mitte-rechts kann nicht mit der Zustimmung von links-grün rechnen und umgekehrt. So besteht auch beim Tierschutz die Gefahr, dass er der parteipolitischen Profilierung zum Opfer fällt.
Die Befragung nach der Abstimmung über die Initiative gegen Massentierhaltung beweist, dass sich der Tierschutz nicht mit links-grün allein verbessern lässt. Für Mehrheiten müssen über alle Parteien mehr Menschen abgeholt werden. Die Ergebnisse der Smartvote-Befragung der Kandidat:innen für den National- oder Ständerat im Herbst 2023 belegen das Potential: So befürwortete bei praktisch allen Parteien ein grösserer Anteil «strengere Tierschutzregelungen für die Haltung von Nutztieren (z.B. permanenter Zugang zum Aussenbereich)» als die Zustimmung zur Volksinitiative gegen Massentierhaltung gezeigt hat; beispielsweise 20 Prozent der SVP-, 33 Prozent der FDP-, 50 Prozent der Jungen Mitte- und 80 Prozent der GLP-Kandidat:innen. Das Potential, eine Mehrheit für mehr Tierschutz zu gewinnen, ist real. Denn die Bevölkerung weiss nach wie vor wenig über die heutige Tierproduktion und noch weniger über die Vorteile und Chancen einer Tierhaltung mit weniger, dafür besser gehaltenen Tieren. Das sind nicht nur Vorteile und Chancen für die Tiere, sondern auch für unsere Gesundheit, die Umwelt und die Landwirtschaft.
Ein erfreulicher erster Schritt zu neuen Mehrheiten ist die geplante Allianz von Organisationen, die die Volksinitiative gegen Massentierhaltung unterstützt haben. Sentience hat die Chance, sich zu einer Organisation für die Tiere weiterzuentwickeln, jenseits polit-ideologischer Flügel. Das Zielpublikum müssen alle Menschen sein, denen Tiere wichtig sind, unabhängig von ihrer politischen Orientierung.