Massentierhaltung ist nicht im Interesse der Schweizer Landwirtschaft
Die Schweiz ist zum Pouletland geworden. Diese Entwicklung ist ein Irrweg, von dem wenige profitieren. Ziel könnte eine landwirtschaftliche Tierhaltung sein, die sich wahrhaft von der global verbreiteten industriellen Tierproduktion abhebt.
Vor 55 Jahren, im Jahr 1967, wollte der Bundesrat erstmals die Zunahme der Massentierhaltung in der Schweiz mit Bestandsobergrenzen unterbinden. Migros und Wirtschaftsverbände lehnten die entsprechende Vorlage ab, sie behindere eine moderne Landwirtschaft. Auch der Schweizer Bauernverband war dagegen. Er wollte noch weitergehende Eingriffe – im Interesse einer bäuerlichen Landwirtschaft – damals. Heute sieht es ganz anders aus: Der Bauernpräsident Markus Ritter bekämpft progressive Vorlagen zum Schutz einer kleinbäuerlichen und bodenbewirtschaftenden Landwirtschaft – wie zum Beispiel die von Sentience lancierte Initiative gegen Massentierhaltung – mit allen Mitteln.
Massentierhaltung ist eine Realität
Heute behaupten Bundesrat und Bauernverband einmütig, in der Schweiz gebe es keine Massentierhaltung. In den Werbungen von Proviande, dem Dachverband der Fleischbranche, sind nicht Hunderte von Schweinen und Tausende von Hühnern zu sehen, zusammengepfercht auf wenigen Quadratmetern. Stattdessen werden einzelne Tiere in Szene gesetzt – Kühe auf der Weide, neugierige Schweine und muntere Hühner – und sympathische Bauern und Bäuerinnen. Unwahres wird nicht dadurch wahr, dass es gebetsmühlenartig wiederholt wird. Bemerkenswert ist, dass die manipulativen Werbebeiträge von Proviande im Schweizer Fernsehen und in den Printmedien mit Steuermillionen finanziert werden.
Die industrielle Tierproduktion ist nirgends so fortgeschritten wie bei der Pouletproduktion. Auch in der Schweiz konzentriert sie sich auf wenige Betriebe: 2021 produzierten laut Aviforum, der Stiftung zur Förderung der Schweizerischen Geflügelproduktion, 243 Betriebe (0,5% aller Schweizer Landwirtschaftsbetriebe) fast die Hälfte der über 80 Millionen Masthühner; im Durchschnitt hielten sie rund 17’000 Tiere. Bei der Pouletmast sind die Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern grösser als die Unterschiede und die Produktionssysteme weitgehend identisch. Daran ändern auch die sogenannten Tierwohlprogramme «Besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme BTS» und «Regelmässige Auslaufhaltung RAUS» nichts Grundlegendes – es sind beschönigende Begriffe für kosmetische Optimierungen. Zu behaupten, dass diese Tiere «glücklich» seien, ist zynisch.
Ohne billige Futtermittelimporte wäre die Schweizer Massentierhaltung kaum möglich. Besonders unredlich ist die Behauptung, dass Kraftfutter zu weniger Nahrungsmittelverschwendung («food waste») führe. Ein grosser Teil der Futtermittel – Weizen, Gerste, Soja und vieles mehr – könnte von uns Menschen direkt gegessen werden. Der Umweg über das Tier ist die eigentliche Verschwendung. Dies gilt auch für die angeblich effiziente Pouletproduktion, die im Übrigen der stärkste Treiber des globalen Sojaanbaus ist. Die Massentierhaltung ist nicht zuletzt ethisch fragwürdig. Die Tiere werden nicht als individuelle Lebewesen betrachtet, sondern als Produktionsapparate.
Beim Tierwohl besteht ein globales Marktversagen, denn diejenigen Menschen, denen die Tiere wichtig sind, essen wenig oder kein Fleisch. Der Fleischmarkt wird nicht durch die Nicht-Nachfrage, sondern durch die Nachfrage derjenigen gesteuert, denen die Tiere nicht so wichtig sind.
Pouletland Schweiz
2022 wurden in der Schweiz gemäss Proviande über 80 Millionen Masthühner geschlachtet. Die mächtigen Player Bell Schweiz (Coop) und Micarna (Migros) fördern Pouletkonsum und -produktion massiv, sodass seit 2020 – im angeblichen Grasland Schweiz – mehr Hühnerfleisch als Rindfleisch produziert wird. Die Entwicklung der Schweiz zum Pouletland ist ein Irrweg: ökologisch, weil die Tierbestände und Nährstoffüberschüsse auf der Basis von importiertem Kraftfutter zunehmen; volkswirtschaftlich, weil die Produktion in der Schweiz teuer ist; agrareinkommenspolitisch, weil nur wenige Hundert Landwirtschaftsbetriebe davon profitieren; versorgungspolitisch, weil die Produktion komplett importabhängig ist – ohne stetigen Nachschub von Küken geht gar nichts; ästhetisch, weil die Masthallen die Landschaft verunstalten. Die Schweiz geht mit ein paar Jahrzehnten Verspätung dieselben Irrwege wie andere Länder, einfach weniger gross und teurer.
Wer profitiert hauptsächlich von der Zunahme der Geflügelproduktion? Am wenigsten die Landwirtschaft selbst. Global betrachtet sind es eine Handvoll Unternehmen, die hinter der Produktion sogenannter Masthybriden (Fleisch) und Legehybriden (Eier) stehen. In der Schweiz profitieren die dominanten Player in der Fleischbranche, Micarna (Migros) und Bell (Coop). Ihr Anteil an der Inlandproduktion beträgt bei Poulet laut Aviforum 75 Prozent und auch bei den Importen profitieren sie am meisten. So plant Micarna aktuell, mehrere Hundert Millionen Franken in eine «state-of-the-art processing plant», gemeint ist ein Geflügelschlachthof, zu investieren; in St. Aubin, Kanton Fribourg, auf der grünen Wiese.
Massentierhaltung behindert Qualität
Es ist nichts Neues, dass die Schweizer Landwirtschaft im Kostenwettbewerb und in der billigen Massenproduktion nicht mithalten kann. Ohne den ausgebauten Agrarschutz gäbe es in der Schweiz deshalb auch keine Massentierhaltung. Das kleinere Übel ist es, importiertes Poulet zu essen, das aus Ländern kommt, die auch über das Futter verfügen und über Felder für den anfallenden Mist. Noch besser ist es, kein Poulet zu essen. Nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen: Ist es doch trotz geschlossenen Systemen und Antibiotikaeinsatz oft bakteriell verseucht. Am allerbesten ist es, kein Fleisch zu essen und wenn doch, dann von Rindern und anderen sogenannten Raufutterverwerten, die Gras in Milch und Fleisch umwandeln können.
Die Initiative gegen Massentierhaltung wäre eine Chance für die Schweizer Landwirtschaft gewesen, um mit einer standortangepassten Produktion ernst zu machen. Auf über 90 Prozent der Betriebe gibt es tatsächlich keine Massentierhaltung und wegen der Übergangsfrist von 25 Jahren hätten alle die Chance gehabt, sich anzupassen.
Weshalb, um Gottes Willen, kämpfte der Bauernpräsident gegen dieses Ansinnen? Markus Ritter liess sich in einem Interview folgendermassen zitieren: «Als Christen sollten wir verantwortungsvoll mit der Schöpfung umgehen. Die Tiere sind uns anvertraut.» Worum geht es ihm? Dem Mann, mit dem so viele Politiker meinen, sich gut stellen zu müssen? Welche Zukunft wünscht er sich für die Bäuerinnen und Bauern in der Schweiz?
Die heutige Massentierhaltung in der Schweine- und Geflügelproduktion jedenfalls ist klar nicht im Interesse der Schweizer Landwirtschaft, wenn sie den Anspruch hat, Qualität zu produzieren. Zur Qualität gehört eine Tierhaltung, die sich wahrhaft von der global verbreiteten industriellen Tierproduktion abhebt.