Interspezies-Diplomatie: Jemals eine Möglichkeit? Dekodierung

Während der Rechtspopulismus bei den Parlamentswahlen im Herbst 2023 an Boden gewonnen hat, wurden die progressiven Stimmen für Tiere immer schwächer.

SwissInfo berichtete: «Die grüne Welle ist vorbei». Nicht nur die Schweizer Bevölkerung ist von den Wahlen betroffen, auch nicht-menschliche Tiere leiden unter diesen Veränderungen. Dabei wurden nicht-menschliche Tiere bereits in der Vergangenheit benachteiligt, insbesondere als das Schweizer Stimmvolk unter dem Einfluss der SVP die Initiative gegen Massentierhaltung ablehnte.

Die Umweltkrise bleibt trotz der aktuellen politischen Situation in der Schweiz aktuell und ihre Auswirkungen auf alle Lebewesen werden immer stärker. Deshalb müssen wir jetzt damit beginnen, darüber nachzudenken, wie ein diplomatischer Umgang mit nicht-menschlichen Tieren aussehen könnte.

Gibt es einen anderen Weg?

T. Fougner schrieb: «Wenn Diplomatie als Alternative zum Krieg betrachtet wird, kann dann der anhaltende ‹Krieg der Menschen gegen Tiere› durch Diplomatie zwischen Menschen und anderen Tieren ersetzt werden?» Gibt es Wege, sich eine Welt vorzustellen, in der Tiere nicht nur in die politischen Entscheidungsprozesse der Menschen miteinbezogen werden, sondern auch als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaften betrachtet werden?

Bestimmte Forschende gehen langsam dazu über, die Diplomatie komplett neu zu definieren. Der Begriff der Interspezies-Diplomatie geht über den Rahmen menschlicher Gesellschaften hinaus, um die Interessen, Bedürfnisse und Rechte nicht-menschlicher Tiere anzuerkennen und zu berücksichtigen. Doch die Idee der Interspezies-Politik ist vielen fremd und wird oft als «Nische» oder «unkonventionell» wahrgenommen.

Zoopolis: eine Pionierarbeit

Das Buch Zoopolis: Eine politische Theorie der Tierrechte schlägt eine neue Denkweise über die Beziehung zwischen Menschen und nicht-menschlichen Tieren in der Politik vor. Diese Pionierarbeit legt nahe, dass Tiere entsprechend ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen behandelt werden sollten. Das Buch unterteilt Tiere dabei in drei Kategorien: domestizierte Tiere, wilde Tiere, die am Rande der menschlichen Gesellschaft leben, und «Grenztiere», die in menschlichen Infrastrukturen leben, aber nicht domestiziert sind (wie Ratten oder Waschbären).

Das Buch plädiert für die Anerkennung der unterschiedlichen Arten, wie nicht-menschliche Tiere mit Menschen interagieren, und schlägt vor, dass einige Tiere eine Art Staatsbürgerschaft mit spezifischen Rechten und Pflichten in Bezug auf ihre Fähigkeiten und ihr Verhältnis zu menschlichen Gesellschaften zugesprochen werden sollte. Insgesamt fordern die Autor:innen uns dazu auf, über einen traditionellen Ansatz für Tierrechte hinauszugehen und die vielfältigen und differenzierten Möglichkeiten zu berücksichtigen, wie nicht-menschliche Tiere und Menschen koexistieren können.

Wie ermöglicht das Konzept der Empfindungsfähigkeit dem Menschen Zugang zu bestimmten Rechten und Pflichten?

«Empfindungsfähigkeit» bezieht sich auf die Fähigkeit, Gefühle und Empfindungen zu erleben. Der Begriff der Empfindungsfähigkeit ist in der menschlichen Politik besonders wichtig. Ihre Anerkennung bildet die Grundlage für ethische und rechtliche Rahmenbedingungen, die die Art und Weise prägen, wie Einzelpersonen behandelt werden, sowie die Verantwortung, die sie in der Gesellschaft gegenüber einander haben. Dennoch verfügen nicht-menschliche Tiere trotz ihrer Empfindungsfähigkeit nicht über den gleichen rechtlichen Schutz.

Die Anerkennung der Empfindungsfähigkeit nicht-menschlicher Tiere ist der erste Schritt zur Erweiterung ethischer und rechtlicher Perspektiven, um das Wohlergehen aller empfindungsfähigen Lebewesen einzubeziehen. In dieser Hinsicht sollten Rechte und Pflichten auf jedes Lebewesen ausgedehnt werden, das in der Lage ist, Freude, Leiden und Bewusstsein zu erfahren. Die Anerkennung der Tatsache, dass nicht-menschliche Tiere aufgrund ihrer Empfindungsfähigkeit bestimmte Rechte und Pflichten haben sollten, fördert einen umfassenderen und mitfühlenderen Ansatz im Umgang mit allen empfindungsfähigen Lebewesen. Sie führt auch zu einer Diplomatie zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Tieren.

Deshalb ist Sentience als Organisation bestrebt, das Wohlergehen der Tiere in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs zu tragen. Die Primaten-Initiative bot der Wählerschaft erstmals die Möglichkeit, demokratisch darüber abzustimmen, ob nicht-menschlichen Tieren Grundrechte gewährt werden sollten. In jüngerer Zeit zielte unsere «RRRevolution!» auf die Anwendung des 3R-Prinzips (Refine, Reduce, Replace) auf Tiere in der Landwirtschaft ab. Unsere Kampagnen schärfen das Bewusstsein für die Interessen nicht-menschlicher Tiere in der Gesellschaft. Auf diese Weise beginnen nicht-menschliche Tiere auf der politischen Bühne an Bedeutung zu gewinnen. Dennoch ist der Prozess noch immer stark anthropozentrisch und wir sind noch weit davon entfernt, nicht-menschliche Tiere als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft mit Rechten zu betrachten.

Interspezies-Diplomatie in der Praxis

Wie könnte die artenübergreifende Diplomatie und Gestaltung der Politik in der Praxis aussehen?

  • Bienen sollen in der Schweiz weiterhin summen

In der Schweiz gibt es mehrere Milliarden Honigbienen. Der Einsatz bestimmter Pestizide kann sich negativ auf das allgemeine Wohlbefinden und die Gesundheit dieser Bienen auswirken. Aktuelle Ansätze sind nicht kollaborativ und berücksichtigen die Interessen der Bienen nicht als Individuen, sondern als Gruppe. Auch wenn sich der Zeitrahmen und die Grössenordnung der Menschen von denen der Bienen unterscheiden, sind die Bienen deshalb nicht weniger schützens- und berücksichtigungswürdig.

Der erste Schritt zu einer besseren Politik besteht darin, die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Menschen und Bienen anzuerkennen und sich für landwirtschaftliche Praktiken einzusetzen, die die Artenvielfalt, ein ökologisches Gleichgewicht und das Wohlergehen der Bestäuber erhalten.

Ein kollaborativer Ansatz, der Mensch und Biene zusammenbringt, setzt voraus, dass die Schweizer Regierung einen Dialog sowohl mit den Imkereigemeinschaften als auch mit den Interessenvertreter:innen der Landwirtschaft führt. Anschliessend können Richtlinien entwickelt werden, um die Auswirkungen von Pestiziden auf die Bienenpopulationen zu minimieren und die Erforschung nachhaltiger Anbaumethoden zu unterstützen, die das Wohlergehen der Bestäuber umfassend berücksichtigen.

Dies ist ein Beispiel von vielen. In der Praxis werden viele politische Entscheidungsträger:innen behaupten, dass andere Prioritäten auf dem Spiel stehen und dass nicht-menschliche Tiere nicht Teil der politischen Agenda sind. Jedoch ist es ein Trugschluss, zu glauben, dass das Leben von Menschen das Leben von nicht-menschlichen Tieren überwiegt.

  • Fischimport in der Schweiz

Über 96% der in der Schweiz konsumierten Fische werden importiert. Angesichts dieser Kennzahl müssen die Schweizer Behörden diplomatische Initiativen mit Fisch exportierenden Ländern ergreifen, um sicherzustellen, dass die Praktiken nachhaltigen und ethischen Standards entsprechen. Zu den Vorschriften gehören die Reduzierung von Beifang, der Zerstörung von Lebensräumen und der Überfischung. Weitere staatliche Bemühungen zur Förderung von Aquakulturen, die das Wohlergehen der Fische in den Vordergrund stellen, ihr Stressniveau senken und angemessene Lebensbedingungen bieten, sind integraler Bestandteil dieser gemeinsamen Bemühungen, Fische in die Politik einzubeziehen.

Anhand der beiden oben genannten Beispiele können wir erkennen, dass Menschen immer noch in hohem Masse am Leiden nicht-menschlicher Tiere beteiligt sind. Bemühungen wie die vollständige Integration der Interspezies-Diplomatie in unsere aktuellen Systeme ist mehr als nur eine unkonventionelle Idee: Es ist unsere moralische Pflicht gegenüber der nicht-menschlichen Tierwelt.

Wie wir bei den eidgenössischen Wahlen im vergangenen Herbst gesehen haben, sind wir derzeit zu weit von allen anderen Lebewesen entfernt, mit denen wir koexistieren. Interspezies-Diplomatie – als Alternative zur traditionellen anthropozentrischen Diplomatie – bedeutet, neue Wege im Zusammenleben mit nicht-menschlichen Tieren zu finden und die Politik entsprechend zu gestalten. Wir müssen diese Vision jetzt erarbeiten und sie in Zukunft systematisch umsetzen.

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